Turku, Batman & Robin

Es war, glaube ich, Riku von Disgrace der am Abend des „Monsters Of Humppa“-Festivals auf der Berliner „Insel“, Turku mit den Worten beschrieb: „Bei uns sagt man, Turku ist das Arschloch von Finnland.“ Mag sein, oder auch nicht. Vielleicht fällt mein Urteil auch deswegen milde aus, weil ich, im Gegensatz zu Riku, noch keinen Winter dort verbringen musste. Und ehrlich – ich habe es auch nicht vor. Immerhin hab ich der Stadt einiges zu verdanken. Meine Freundschaft mit Lappis von Boomhauer, der vielleicht besten finnischen Garagerock Band ever, das letzte Konzert mit den Miracle Gyrlz auf finnischem Boden, inklusive dem vergeblichen Versuch sich mit mehreren Paletten Ykkösolut wegzuschiessen und etliche Jahre später dann das Aufeinandertreffen mit Nightbird.

Die einzige Tour von Mäkkelä & Orkesteri in Finnland war insgesamt unterm Strich grundsätzlich fast schon luxuriös. Bis auf den Turku-Gig alle Shows zusammen mit den Karoshi Lovers. Außer das die Karoshis ausgesprochen nette Kollegen sind, war damit auch das Transport- und Equipment-Problem elegant gelöst. Nur eben nicht in Turku.
Da kamen Boomhauer ins Spiel. Die borgten uns den ganzen Kram. Mit irgendwessen geliehenem Auto irgendwo im Hafengebiet rumgefahren, Drumkit und Amps eingesammelt und irgendwie tatsächlich zum Club und zum Soundcheck gekommen. Kleine Hürden einer Full-Band Tour.

Logistisch gesehen hatte NEM-Booking, unsere Agentur, alles andere richtig, geradezu vorbildlich gemacht. Das örtliche Omena Hotelli mit unserem Zimmer, direkt gegenüber vom Club, somit ganze vier Minuten Fußweg zur Bühne. Praktisch auch, weil man nicht auf irgendeinen versifften Backstage angewiesen ist. Und ja, Klubi in Turku ist schon auch eine echte Nummer gewesen im Jahre des Herrn 2009. Drei Stockwerke mit jeweils einer Bühne, größenmäßig nach oben aufsteigend, parallel drei Live Bands, diverse Bars und für uns, die in der kleinsten der Locations spielen, idealerweise direkter Zugang zum Innenhof. Raucherzone. Mein Zuhause. Das mit dem Tür-Code fürs Hotel finde ich nicht ganz so wichtig. Es sollte genügen, wenn ein oder, von mir aus, auch zwei Bandmitglieder den kennen. Merken kann ich mir solche Sachen sowieso nicht und letztendlich werden wir ja doch alle im selben 5-Bett-Zimmer enden. Komplette Fehleinschätzung der Lage.

Soundcheck geht erfreulich erfolgreich über die Bühne und wir haben noch gut eine Stunde bis Show-Time. Wir sehen uns zusammen den ganzen Laden an, und ja, hat was, insbesondere wenn man noch nie einen Freitag-Abend in einem Club in einer finnischen Großstadt erlebt hat. So wie meine Bandkolleginnen an diesem Abend. Falls doch, kann man auch gerne drauf verzichten und, zum Beispiel, vor dem Auftritt noch in aller Ruhe rauchen gehen. Im konkreten Fall in dem dafür vorgesehenen, Innenhof vom Klubi. Auf unerwartet angenehme Weise stimmt an diesem Abend mal einfach sehr viel, nein, fast alles. Das Hotelzimmer ist für Omena-Verhältnisse geradezu traumhaft, der Bühnen-Sound ist gut trotz unbekanntem Equipment und die Stimmung in der Band scheint alles in allem prächtig. Ready to roll.

Mäkkelä steht im klassischen Bühnen-Anzug rauchend im Hof. Rote North State. Nortit. Finnische Männer-Zigarette. Heute Abend mal mit Style. Geschäftiges Treiben, aufgekratzte, junge Menschen, deren Wochenende langsam Fahrt aufnimmt. Gute Auftrittszeit für Turku, 22.30 Uhr etwa. Gerade noch bevor der traditionelle, kollektive, Freitags-Vollrausch bei der Crowd Wirkung zeigt. Poleposition sozusagen. In 15 Minuten treffe ich meine Band auf der Bühne, um der Menge klarzumachen, was Sache ist.

Ein guter Abend für Turku. Die Tour bis hier hin kein finanzielles Desaster, keiner am Durchdrehen. Läuft. Daran werden auch die beiden jungen Prolls nichts ändern, die etwas zu zielstrebig auf mich zuhalten. Für Ärger ist es zudem auch eindeutig noch zu früh am Abend. Einfach zwei Nervensägen, die üblichen Weirdos, aber heute bin ich milde gestimmt. Sollen die auch zu ihrem Recht kommen. Kurz texten lassen und dann „sorry, aber ich muss dann mal Jungs, Show geht gleich los. „I'm the singer, you know?“. Was in der Art. Eigentlich guter Plan, nur eben nicht heute.

Leicht herausfordernder, in ordentlichem Englisch gehaltener, aber beunruhigend sachlicher Tonfall. Ob ich mich an sie erinnern würde. Wie könnte ich so ein charmantes Pärchen vergessen, denke ich mir, aber nein, kann ich nicht. Ob wir uns denn kennen sollten?

Tja, wir haben Dir letztes Jahr gesagt, wir wollen Dich hier nicht mehr sehen. Das kommt nun doch etwas überraschend. Weder habe ich diese beiden Knalltüten jemals zuvor gesehen noch hat mir irgendwer in Finnland im vergangenen Jahr gesagt, er oder sie würden mich nicht mehr sehen wollen. Ich denke kurz drüber nach und frage mich dabei, was das die beiden eigentlich überhaupt angeht. Wohin das hier eigentlich führen soll.

Eine Ahnung davon bekomme ich in dem Moment, in dem Batman und Robin ihre Hundemarken präsentieren. Oha. Das ändert die Lage deutlich. Keine Panik jetzt, Du hast nichts zu verbergen. Du bist lediglich hier um ein Konzert zu spielen, hast weder hier noch irgendwo anders, irgendwelche Vorstrafen oder Einträge, eigentlich sollte alles völlig in Ordnung sein. Andererseits. Die scheinen sich ziemlich, nein, ganz sicher zu sein, dass sie mich kennen. Die beiden wissen etwas von dem ich ganz klar nichts weiß. Ich habe immer noch keinen Schimmer was das werden soll.

Wo ich denn letztes Jahr im Juli gewesen wäre. Hm, also ganz genau kann ich es gerade nicht sagen, aber es muss Finnland gewesen sein. Ja, und wo genau? Oder noch spezifischer, am Wochenende des soundsovielten. Die meinen das wirklich ernst. Krampfhaft versuche ich mich zu erinnern. Keine Chance. Ich weiß es einfach nicht. Außer dass es eben Finnland war. Ich muss feststellen, das hier nimmt gerade eine ungute Wendung.
Man wird jetzt deutlicher, nachdem ich mich offenkundig nicht kooperativ genug zeige. Also Karten auf den Tisch. Die beiden haben mich höchstpersönlich an einem Wochenende im Juli des vergangenen Jahres, auf dem mir völlig unbekannten Metsäkone-Festival, irgendwo im Wald hinter, bei, neben Turku, beim Dealen mit einem satten Kilo Haschisch verhaftet. Aus irgendeinem Grund hat man mich dann scheinbar nicht in den nächstbesten, finnischen Knast geworfen, sondern des Landes verwiesen. Mit der Auflage nie wiederzukommen. Einreiseverbot.

Schwere Geschütze. Nur das die mir gerade jetzt nicht wirklich gelegen kommen. Ich habe noch ungefähr zehn Minuten, bis ich im Idealfall ein Konzert spielen werde. Das ist - oder war bis gerade eben noch - der Plan. Statt mich also länger mit meinen beiden, neuen Freunden zu kabbeln muss irgendeine Lösung her.

Ich war zum einen sicher nicht auf irgendeinem Festival in Finnland, weder um zu dealen noch um verhaftet oder ausgewiesen zu werden und überhaupt lässt sich das doch sicherlich ganz einfach anhand eines Ausweises oder Reisepasses abgleichen und wir können uns alle unbeschwert weiter unseren jeweiligen, beruflichen Verpflichtungen des Abends widmen.
In dem Moment, in dem ich es ausspreche, fallen mir mehrere Sachen gleichzeitig ein. Keine davon geeignet meinen Status zu verbessern. Alle meine Ausweispapiere befinden sich in einem Hotelzimmer, dessen Zugangscode ich gerade nicht parat habe und mein Telefon befindet sich an eben diesem Ort. Ich habe keine Ahnung wo sich der Rest meiner Band befindet, der eventuell zur Aufklärung dieses epischen Missverständnisses beitragen könnte. Zeit schinden. Irgendeine Lösung muss es geben. Das hier entwickelt sich nicht zu meinen Gunsten. Das ist wie im Film und da gehört es auch hin. Nicht hierher. Nicht wenige Minuten vor meinem Auftritt.
Die beiden sind sich sicher. Soweit klar. Ich bitte sie, mit mir in den Backstage zu kommen. Irgendeine Möglichkeit mich zu identifizieren muss es da geben. Das Hotel, meine Band, mein Pass -  alles im Moment weit weg. Meine Chaperones behalten mich im Auge und folgen mir in den Heizungsraum, den man uns als Backstage zugeteilt hat. Da ist immerhin mein Gitarrenkoffer. Mehr nicht. Sollte sich da nichts finden, habe ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit heute keinen Auftritt im Klubi vor mir, dafür sehr wahrscheinlich einen deutlich weniger unterhaltsamen Abend mit den Mitarbeitern des Drogendezernats von Turku. Aktuell ist mein Problem nur, ich wüsste beim allerbesten Willen nicht was in diesem Gitarrenkoffer sein sollte, das zur Entspannung oder Aufklärung der Lage beitragen könnte.

Sollte ich jemals an der Existenz der Götter des Rock'n'Roll gezweifelt haben, dann entschuldige ich mich hier und jetzt aufrichtig. In meinem Koffer liegt eine Ausgabe von Uusi Rovaniemi von letzter Woche. Die Tageszeitung aus Lappland hat anlässlich des neuen Albums und meines Solo-Konzerts vergangene Woche ein halbseitiges Feature gebracht. Mit meinem Namen. Mit der Information ich bin Deutsch-Finne. Musiker. Auf Tour. In Finnland. Mit neuem Album. Jetzt gerade. Und immerhin eine Visitenkarte mit meiner aktuellen Adresse findet sich. Halleluja!
Ich präsentiere Robin und Batman beides. Ich beteuere das ich es wirklich bin. Mehr hab ich nicht. Die einzige Karte, die ich gerade spielen kann, ist, wie's grad aussieht, eine Visitenkarte. Einer der beiden nimmt beides an sich und nimmt Kontakt mit Headquarters auf. Jungs, ihr wisst es vielleicht nicht, aber ich verstehe eure Sprache. Ich könnte sie sogar sprechen. Nur heute erscheint es mir taktisch geschickter zu sein nur Englisch zu verstehen.

Es dauert. Headquarters gleichen offenbar ab, ob es mich wirklich gibt. Ob es meine Adresse auch gibt. Ich höre zwar nicht, was am anderen Ende der Leitung passiert, aber Batman wirkt jetzt wirklich aufgeregt. Richtig hibbelig. Ich höre seinen Ausführungen zu. Bin gespannt. Hier und jetzt entscheidet sich der weitere Verlauf des heutigen Abends.
Und ja, er ist sich völlig sicher, das ist der Typ, er hat ihn ja auch persönlich festgenommen. Nein, keine Verwechslung möglich. Batman wird im Laufe des Telefonats deutlich kleinlauter. In seinem Gesicht lese ich: Enttäuschung. Er hat es schon gespürt. Er hatte ihn an der Leine, einen ganz großen, keinen von diesen kleinen Fischen. Dieser Fang könnte für Punkte bei der nächsten Beförderung reichen. Mindestens. Aber nein, nicht mal ein Trostpreis. Leider verloren. Er unterbricht die Verbindung.

Ja, das war wohl ein sehr bedauerliches Missverständnis. Sie entschuldigen sich in aller Form. Aber die Ähnlichkeit wäre einfach zu frappierend. Sie können es sich nicht erklären, ich müsse wohl einen Doppelgänger haben. Oder Zwillingsbruder. Ganz sicher ist, er hat lockige Haare. Wie ich. Er ist Deutsch-Finne. Wie ich. Er trug einen Anzug. Wie ich. Er hat meine Größe. Das war ich. Sehr viel mehr Ähnlichkeit geht nicht. We're really sorry. Abgang Batman und Robin. Ich habe noch eine Minute um zur Bühne zu kommen.