Braunschweig
Das glamouröseste war eindeutig die Fahrt. Der Van der Volkswagen Soundfoundation. Schwarzer Van, Turbodiesel, langer Radstand. Sag jetzt keiner übermotorisiert. Geschenkter Gaul, wie gemacht für die Herren Coltello und Mäkkelä. Zweiköpfiges Rollkommando in Sachen Rock'n'Roll. Zug hatte das Ding. Richtig Zug. Apropos Zug. Einzug der Gladiatoren in die Stadt Braunschweig. Steil abfallender Glamour-Anteil direkt bei der Ankunft.
„Also Jungs, richtig gut das Ihr da seid. Freut mich riesig! Allerdings gibt’s 'ne kleine Planänderung. Ist aber sowieso viel cooler für Euch und geht grad auch gar nicht anders. Hier sind grad Braunschweiger Kurzfilmtage, Riesengeschichte, da ist bei mir im Laden jeder Platz bares Geld, versteht Ihr? Da ist Livemusik eher kontraproduktiv. Ist aber kein Problem, ich hab das geregelt. Ihr spielt wie geplant, nur eben gegenüber, in der Bulldog Bar. Ist auch mein Laden und der Typ, dem ich die verpachtet habe, muss es machen. Ob er will oder nicht“
Na schön, warum auch nicht. Wenn's denn cool ist. Nur dass eben das eigentlich vorgesehene Café mit seinem 50s/60s Mobiliar und den schnieken Stehlampen tatsächlich schon auch ganz cool gewesen wäre. Wo wir schonmal bei Coolness sind. Also eigentlich ein Traum von einer Location, im Gegensatz zu, ... na ja.
In gewisser Weise war der Name Bulldog Bar schon auch Hinweis genug auf was uns erwartet hat. Ein gebäudegewordenes Hooligan-Tattoo, ein Kampfhund unter den Konzert-Locations und genauso charmant. Wie die meisten andern Live-Bars vor Ort direkt um die Ecke der örtlichen, kleinen Schwester der Hamburger Herbertstraße, dem Rotlichtviertel der Stadt.
Die Location war dann im ersten Stock: ein großer Raum mit langer Bar. Nicht sehr schön, aber auch nicht ganz verkehrt. Aber falsch getippt.
„Nee Jungs, nicht hier“, sagt unser frisch gekürter Gastgeber. Für uns ist der Nebenraum vorgesehen. Lichtgrau gefliest. „Die Flipper und den Kicker schieben wir noch weg, richtet Euch einfach schonmal ein.“ Und wann es denn losgehen soll? „Entspannt Euch, vor elf kommt hier keiner.“
Immerhin – es gibt eine kleine Gesangsanlage. Der Raum klingt schlimm. Oder retro, wenn man so will. Früh-Achtziger Retro. Neonlicht inklusive und scheiß-kalt. Traumszenario. Wunschkulisse für jeden übernächtigten, durchgerockten, tour-demolierten Musiker. Ganz so habe ich mir meinen allerersten Solo-Gig nicht vorgestellt. Aber muss man durch. Andere würden ja vielleicht kneifen, aber hier geht es schon auch bisschen um die Ehre. Sind wir tough genug oder nicht?
Und es gibt immer noch diesen Rest Hoffnung, alles kippt noch. Fängt schlimm an und wird dann hinten raus noch richtig, richtig schön. Tut es aber nicht. Hat es noch nie und wird es auch hier nicht. Wenn es mal scheiße anfängt, geht es auch genauso weiter. Erfahrungswerte. Mittlerweile.
Um elf sitzen wir an der Bar. Die einzigen zwei Menschen außer dem Barkeeper. Klar kommt da noch Publikum. Muss ja wer kommen. Die haben ja Werbung gemacht. Ok, für 'nen anderen Laden, aber der ist ja direkt gegenüber. Nur, dass die Bulldog Bar eben nicht unbedingt für ihr hochwertiges Kulturprogramm bekannt ist.
Die ersten zehn Gäste ordern erst mal zwei Tabletts doppelte Jägermeister und Bier. Wie Konzert? Ach so, im Nebenzimmer, na dann is ja gut. Als ich gegen Mitternacht anfange, sitzen vor mir im gefliesten Kicker-Zimmer ein weiblicher Coltello-Fan, ein völlig besoffener Typ mit Mundharmonika, ein weiterer, möglicherweise noch besoffenerer Typ, der allerdings während der ersten Nummer unüberhörbar einschläft. Zudem offenbar noch zwei weitere Gäste, wie ich Jahre später irgendwo von jemandem erfahre, der behauptet dagewesen zu sein. Der Mundharmonika-Typ bietet wiederholt sein aktives Mitwirken an. Ich lehne wiederholt ab. Unvergesslicher Abend. Ich würde heute einiges dafür geben, das als Besucher gesehen zu haben. Im Anschluss wird es konsequenterweise noch schräger.
Unser eigentlicher, ursprünglicher, Veranstalter taucht nach dem Konzert auf. „Habt Ihr gut gemacht, Jungs, richtig gut. Darauf müssen wir noch einen trinken.“ Die Bar in der wir landen ist, wie man uns sagt, der Hang-Out der lokalen Luden und Milieu-Geschäftsleute. Nur das wir an diesem Abend gerade mal zu fünft sind. Coltello, Mäkkelä, unser Veranstalter, der Bar-Besitzer und die australische Theken-Kraft unseres Veranstalters, Fucker. Fucker durfte auch mit. Fucker heißt vermutlich nicht wirklich Fucker, wird aber von unserem Veranstalter nur so genannt und ist lediglich dabei um die Spielautomaten zu bedienen.
Wie? Ja, richtig. Veranstalter gibt Fucker einen 100 DM Schein, Fucker wechselt den beim Bar-Mann in Fünfer, um damit anschließend auf Zuruf unseres Veranstalters die Slotmachines zu füttern. Auf den Zuruf „Ey, stop jetzt Fucker!“, später auch nur noch auf Handzeichen, drückt Fucker die „Stop“-Taste der beiden Maschinen, die er parallel füttert.
Da Fucker aber kein allzu glückliches Händchen hat, verschwinden, während wir drei Pils trinken, mal eben 200 Mark in den Automaten. Einfach so. Weg. Unsere Gage war niedriger.