Würde & Hygiene
Es reicht. Wirklich, es reicht und genug ist mittlerweile mehr als genug. Von allen über die letzten elf Monate verteilten Watschen ist das die mieseste. Sagt mal, geht's eigentlich noch? Eine völlig bescheuerte Frage, weil es geht schon ganz lange nicht mehr und auf 'ne Art bin ich ja fast dankbar über die Geschmacklosigkeit der Wortwahl, einfach wegen dem Weck-Effekt. Das musste auch in dem ganzen trüben Sumpf von selbst konstruierten Koordinaten zur Aufrechterhaltung einer minimalen mentalen Gesundheit erstmal durchsickern. Erstaunlich was ein Wort wie "Würde" dann doch noch auslösen kann. Man gewöhnt sich ja leider gerne dran, akzeptiert die ganze beschissene Situation als Normalität, bis dann das nächste Scheibchen Respekt und/oder Selbstbestimmung weggenommen wird. Oder die nächste ambitionierte, plan- und sinnlose Maßnahme in der nächsten Mittwochs-Audienz proklamiert wird. Nur um das klar zu stellen: ich bin meilenweit davon entfernt die Existenz irgendeines Virus oder der Pandemie infrage zu stellen. Ich neige auch nicht dazu da irgendwo, irgendwelche Verschwörungen zu sehen. Was ich allerdings sehe ist das ich als Künstler seit Beginn des ganzen Desasters wie ein Kleinkind behandelt werde, ich ganz offensichtlich für ziemlich dämlich und endlos leidensfähig gehalten werde und vor allem nicht ernst genommen werde. "Systemrelevant" fängt langsam an sich beängstigend ähnlich anzuhören wie "kriegsentscheidend" oder "kriegswichtig". Wie auch "Würde und Hygiene" sich höchst unangenehm nach "Kraft durch Freude" anhört. Das war anfangs unverständlich, irgendwann wurde es ärgerlich und mittlerweile wird die Grenze des Erträglichen nicht nur strapaziert, sondern deutlich überschritten. Sollten wir da etwa einen kleinen, bayerischen Rubikon überquert haben?
Es nervt nicht nur, es ist nicht nur existenzbedrohend, das alles ist es ja schon länger, aber jetzt wird's endgültig erniedrigend und kränkend. Mag ja sein das die zeitnahe Öffnung von Frisör-Läden "auch etwas mit Hygiene und Würde" zu tun hat. Das ist erfreulich für die Frisöre, denen ich da wirklich am wenigsten am Zeug flicken mag, aber der rhetorische Schwenk zur Würde ist für jeden Musiker, Gastronomen, Kulturschaffenden ein Schlag ins Gesicht. Diese Würde ist für unsere ganze Branche schon seit längerem alles andere als unantastbar. Das muss doch mittlerweile sogar in der Wahrnehmung eines Markus Söder und seiner Ministerschaft ins Bewusstsein gesickert sein. Wo soll ich denn Anfangen? Bei dem heillosen Chaos unausgegorener, planlos ins Netz gestellter, finanzieller Hilfen für Künstler und Soloselbständige die nach einem unerklärlichen Zufallsprinzip mal zurückgefordert, mal gar nicht erst gewährt und deren Beantragung dann, als krönende Pointe des Treppenwitzes, mal eben per strafrechtlicher Verfolgung geahndet werden? Klar dürft Ihr als einzige nicht arbeiten, aber ihr dürft gerne ALG II beantragen? Was is'n da mit Würde? Und was war das mit dem "Lockdown Light"? Großartige Wortschöpfung, nur ändert die Verpackung in einen schnieken Anglizismus nichts daran das es sich für jeden im, trotz gegenteiliger Behauptungen, so gar nicht systemrelevanten Kulturbereich Tätigen, um ganz genau das gleiche Arbeitsverbot handelt wie in jedem anderen Lockdown auch. Light oder nicht Light, am Arsch, echt jetzt. Kulturland Bayern, was?
Ich fang jetzt nicht damit an auch noch öffentlich drüber nachzudenken, warum die Pandemie mit einem Hausarrest ab 21.00 Uhr gebremst werden könnte? Es ist der Pandemie scheißegal, ob ich nach neun spazieren gehe oder nicht. Die Gefahr das ich irgendwo in geselliger Runde paar Drinks nehme, besteht ja nicht mehr. Wo denn auch? Selbst wenn ich mir den Frust in abendlicher Solo-Runde wegsaufen möchte - nach neun brauch ich mir an der Tanke auch kein Bier mehr holen, weil ich schlicht keins mehr kaufen darf. Da heißt es schon beizeiten im systemrelevanten Getränkemarkt vorzusorgen. Das war übrigens einer der geschickteren Moves. Dem Haufen von Idioten wenigstens ihre Drogen zu lassen. Reicht ja schon dass wir das Generve mit den Eltern und Schulen an der Backe haben, lass da nochmal 'ne Million akut unterhopfter, angepisster Trinker dazukommen. Da wirds dann wirklich eng.
Wie vermutlich sehr viele Andere, bin ich es über die Monate leid geworden immer und immer wieder laut über das Vorhandensein von durchdachten Hygiene-Konzepten in Gastro und Kultureinrichtungen nachzudenken und mich zu fragen, warum um Himmelsgotteswillen die dicht sein müssen. Wozu auch? Hört ja keiner zu. Is halt so. Muss eben jeder sein Packerl tragen und zusammen stemmen wir das schon. Fuck you! Da is nix mit zusammen! Es war und ist nicht nachvollziehbar warum gerade in Kinos, Theatern, bestuhlten Konzerten und Restaurants das Virus bei all den Abständen und Regeln am wildesten toben sollte. Da wird, wie die ganze Zeit immer deutlicher wird, mit zweierlei Maß gemessen. Irgendeinen gemeinsamen Spirit zu beschwören ist doch absoluter Bullshit, wenn billigend in Kauf genommen wird das mal eben bestimmte Berufszweige ins Gras beißen und andere nicht. Einfach mal so festgelegt nach irgend wessen eigenen Präferenzen und Interessen. Wie kommt Ihr eigentlich auf die völlig bescheuerte Idee in dem Zusammenhang irgendwie von WÜRDE zu reden? Das ist anstandslos, verlogen und es ist zynisch.