Hey Sunna! Ich hab gehört das Du nicht mehr zum Tanzen gehst?
Gerade mal fünf Wochen hab ich gebraucht, um den Satz so rauszukriegen, dass er, ja was eigentlich? Passt? Ich das Gefühl hatte, ich hätte ihn wirklich zu irgendeiner Gelegenheit so gesagt? Vor allem ihn zu jemandem gesagt zu haben?
Aus der Probezeit von "Aus Meinem Mund". Geschrieben und inszeniert von Helwig Arenz für’s Gostner Hoftheater in Nürnberg. Das erste Theaterstück, für das ich Musik geschrieben habe. Keinen Schimmer was ich erwartet hatte, im Nachhinein, glaube ich, wenn überhaupt irgendwas, dann sicher nicht was es letztendlich war. Vor allem war ich mal ziemlich neugierig, schlicht, weil ich mir tatsächlich nicht vorstellen konnte, wie sowas eigentlich geht. Theater. Oder genauer: Theater und ich.
Sicher, anhand der Erstfassung des Texts hab ich mir schon Gedanken gemacht. Soweit dafür im ganzen Tour-Chaos und Trubel den Herbst/Winter/Frühjahr über Zeit war. Also nicht allzu viel. So Sachen wie "es sollte vielleicht ein durchgängiges Thema geben" oder "dieser oder jener Figur sollte vielleicht ein Motiv zugeschrieben werden". Oder ganze Songs? Nur wusste ich da noch nicht das es eine erste Fassung und eine Strich-Fassung gibt. Oder eher mehrere davon. Geben wird. Strich in diesem Zusammenhang kommt übrigens, wie ich jetzt auch weiß, von Streichen. Was so viel bedeutet, dass von allem, was anfangs mal da war, vieles irgendwann eben weg-gestrichen ist. Womit sich dann irgendwelche raffinierten Ideen zu einzelnen Passagen auch mal schnell als hinfällig erweisen. Das Einzige, was letztlich von der Vorbereitung über geblieben ist, war die Idee "Into The Light" vom "Homeland" Album zu verwenden und einige Handy-Aufnahmen von Meetings im Vorfeld, bei denen ich Helwig irgendwelche Ideen von Momentaufnahmen vorgespielt hatte.
Die Frühjahrs-Tour 2023 lief ziemlich tight und ohne ernstzunehmende Pausen von Mitte März bis Mitte Mai durch, die erste Theaterprobe stand für den 15. Mai, also den Tag nach dem letzten Tour-Gig an. Ab da dann sechs Wochen Proben, gefolgt von 14 Aufführungen. Tight klar, aber weil die Bezahlung ja erst zur Premiere fällig war, denkt sich der Mäkkelä, schlau wie er ist, da lassen sich doch an den Wochenenden noch Gigs spielen. Wegen Miete und so. Im Nachhinein reichlich optimistisch gedacht. Gegangen ist es dann schlussendlich schon, nochmal würd ich's so dann vermutlich doch nicht noch mal machen. Vielleicht das erste Mal überhaupt, dass ich mir ernsthaft Gedanken gemacht hab, ob ich mich nicht vielleicht etwas übernommen habe.
Ein Problem beim Einstieg schon mal die Sprache. Ich war mir über längere Zeit oft nicht sicher, ob das, was Helwig in der Probe da eben gesagt hat, an mich gerichtet war, an irgendeine*n der Schauspielenden, oder ob es irgendein Teil des Stücks war, den ich vielleicht nicht mitbekommen hatte. Die ersten beiden Wochen somit eher Beobachten, von dem, was da gerade vor sich ging. Und wie diese Menschen vom Planeten Theater eigentlich miteinander kommunizieren. Irgendwann hab ich's dann auch kapiert. Umgekehrt gab es vermutlich das gleiche Problem.
Sechs Wochen Proben kamen mir erstmal ziemlich üppig vor, hat sich aber schnell gelegt. Eher im Gegenteil. Trotz grundsätzlichem Optimismus keinen Schimmer gehabt wie das, was die machen und das, was ich mache, irgendwie zusammenkommen könnte. Der ganze Prozess ein Abtasten von Situationen, Bewegungen, Stimmungen auf einen in Veränderung begriffenen Text. Grundsätzlich dieses "Die" und "Ich". Rückblickend glaube ich, dass der Zeitpunkt an dem ich mir tatsächlich irgendwas Greifbares aus den entstandenen Schnipseln vorstellen konnte, der Moment war, an dem das "Die" und "Ich" verschwand. Seltsam war das. Es war irgendwann auf einmal nicht mehr da. Vielleicht nach der einen Abend-Probe, während der aus einem improvisierten Moment heraus eine Szene und die Musik dazu einfach da waren. Einfach so. Plötzlich hat alles gestimmt, ohne dass irgendjemand bewusst was dazu getan hätte. Ziemlich magisch, wie manchmal beim Musik machen. Der, in dem sich mir das große Ganze als nicht nur machbar, sondern auch noch als möglicherweise ganz großartig aufgeblättert hat. Dass so eine Inszenierung mit Schauspieler*innen, Bühnenbild, Musik, Sound irgendwie wie Songwriting ist, ein großes Arrangement schreiben und ein Album produzieren. Alles zur gleichen Zeit und alles in 4-D. Oder sowas Ähnliches. Bin immer noch schwer beeindruckt und werd da vermutlich noch länger drüber nachdenken.
Tour-Routine ist Routine. Anstrengende Routine, aber das kenne ich, damit kann ich ganz gut umgehen. Theater war (Überraschung!) nicht weniger anstrengend, nur eben ganz anders. Da war nicht viel was man einfach abrufen kann, das waren sehr, sehr viele, kleine Details was die Musik anging. Ich hatte mir, glaube ich, noch nie zuvor so lange Gedanken um wenige Millimeter Reglerweg an Effekt-Pedals oder Amp und was die dann genau bewirken gemacht. Zugegebenermaßen ist es auch schon gute 25 Jahre her, seit ich mit mehr Effekten als einem Verzerrer gespielt habe. So gesehen auch noch eine persönliche Zeitreise in ein abgeschlossenes Kapitel.
Vom Schreib-Prozess war das sehr viel Improvisation plus anschließendes Festhalten, Aufnehmen und Aufschreiben der verwertbaren Momente. Also schon deutlich arbeitsaufwändiger als ich mir das vorgestellt hatte. Für jemanden allerdings, der Jam-Sessions wirklich aus ganzer Seele hasst, hat das im Ergebnis erfreulich gut funktioniert.
Ein großes Glück bei dem ganzen Projekt - ich nenn das einfach mal so - war zum einen, das Helwig keine konkreten Vorstellungen, was die Musik anging, gehabt hat und mir völlig freie Hand ließ, in der Hoffnung ich würde das Richtige tun. Unterstell ich ihm jetzt mal so. Muss man sich auch erstmal trauen. Zum anderen die Besetzung und das ganze Team. Wunderbare Schauspieler*innen, sowohl in menschlicher als auch professioneller Hinsicht, ein großartiges Team von Bühnenbild über Sound über Regieassistenz bis, ... na ja, einfach alle. Das hätte auch anders laufen können und dann vermutlich auch richtig nervig werden können. Dafür bin ich jedem einzelnen mehr als dankbar. Ihr habt mir das nicht nur leichter gemacht, ihr habt dafür gesorgt, dass es eine ganz aussergewöhnliche und unvergessliche Erfahrung geworden ist. Auch wenn Lea und ich es nicht geschafft haben, die Aschenbecher in den Rauchbereichen voll zu bekommen. Wir haben alles Menschenmögliche drangesetzt.
Ob das alles ohne Katastrophen über die Bühne gegangen ist? Fast, würde ich sagen, fast. Irgendwie war schon klar, dass irgendwas passieren würde, einfach weil ich sehr, sehr gut darin bin, Beinah- und Voll-Katastrophen zu verursachen. Schon immer. Ein gottgegebenes Talent.
Die Premiere? Großartig. Allein in der halben Stunde vorher lerne ich noch mehr neues dazu. Dass man sich gegenseitig kleine Dinge schenkt, dass man sich gegenseitig über die linke Schulter spuckt und "Toi, toi, toi" sagt, Dinge, die man offenbar im Theater macht. Und dann, unvermeidlich und absolut verdient, die Premierenfeier hinterher. Erstmal direkt vor Ort, bis da Ende ist. Dann kollektiver Umzug aller Beteiligten und etlicher Gäste, vom großen Saal in die Homebase des Theaters, die kleine Bar im Gebäude der Probebühne. Euphorie, Glück und Getränke. Und noch mehr Getränke. Noch mehr Euphorie auch. Irgendwann wird abgesperrt, von innen. Irgendwann stehen auch Aschenbecher da, es feiert sich einfach um einiges schöner mit Aschenbechern. Irgendwann ist es einfach spät. Sehr spät. Oder früh. Irgendwann kommt jemand auf die Idee mit dem Schnaps. Irgendwie hat sich's wie eine gute Idee angefühlt. Erstmal. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich das unaufschiebbare Bedürfnis habe, mich ablegen zu müssen. Nicht demnächst oder wenn ich zu Hause bin, nein, sofort. Kein Aufschub möglich. Aber alles gar kein Problem an diesem glückseligen Abend. Im dritten Stock oder der Probebühne liegt eine Matratze, eine Decke und ein Kissen. Das wird es tun, auch weil die nächste Vorstellung eine Vormittags-Vorstellung für Schulklassen ist. 10.30 Uhr. Machbar, leicht sogar, wenn ich um 9.00 Uhr hier rauskomme. Da geht sogar noch ein Kaffee auf dem Weg.
Nur ist es bereits 9.30 Uhr als ich aufwache. Enge Kiste, aber noch machbar. Auch mit Kaffee auf dem Weg. Dann eben "to-go". Ich verlasse meine Unterkunft, achte darauf, dass die Tür hinter mir auch wirklich geschlossen ist und gehe die Treppen runter. Der Kater ist mild, einer guten Vorstellung steht nichts im Weg. Außer der Eingangstür, vor der ich stehe. Die nämlich ist verschlossen. Genau so verschlossen wie sämtliche anderen Türen im Treppenhaus. Sieht nicht gut aus, stelle ich fest und versuche die Panik im Griff zu behalten. Textnachricht an zumindest eine Kollegin, dass es eventuell knapp werden könnte heute. Bin nämlich eingesperrt. Unpraktischerweise stirbt dann auch gleich mein Telefon.
Schnelle Lösungen sind jetzt dringend gefragt, die Vorstellung verpassen keine Option. Und, tatsächlich, es findet sich eine Möglichkeit. Sieht nicht ganz einfach aus, scheint aber die einzige zu sein. Im ersten Stock ist tatsächlich eine Tür nicht abgesperrt, die zur Toilette. Da gäbe es ein Fenster, durch das ich mit meiner Tasche rauskäme, allerdings unangenehm hoch über dem Boden. Zu hoch, um direkt runter zu springen, deutlich zu hoch. Allerdings bin ich hier auf Höhe des Giebels der Plexi-Überdachung des Innenhofs. Der ist mit einem größeren Schritt durchaus erreichbar. Vor allem scheint das die einzige halbwegs stabile Route zu sein. Betonung auf halbwegs. Geschätzte 4-5 Meter auf dem Giebel balancieren, bis ich die Stahlkonstruktion erreiche, auf der das Dach montiert ist. Von der aus, so sieht es zumindest von hier aus, ist möglicherweise der große Ast der Kastanie im Hof erreichbar, von dem aus ich mich mit etwas Schwung bis zum Gitterzaun hangeln könnte. Sollte das alles gut gehen, ich an dem Zaun runterrutschen können und dann noch unverletzt sein, müsste nur noch ein Taxi irgendwo in nächster Nähe frei sein und ich hätte eine kleine Chance, die Vorstellung noch zu schaffen. Mittlerweile, vermute ich, ist es sowieso schlicht zu spät um über alternative Auswege nachzudenken, zudem bin ich hart unterkoffeiniert, leicht angeschlagen, ein wenig panisch und nicht unbedingt in der Verfassung noch weiter drüber nachzudenken.
Ich bin vermutlich mehr verblüfft als der Rest des Ensembles als ich fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn vor Ort bin. Es hat tatsächlich genau so funktioniert. Sogar das Taxi war am Stand, genau eines.
Dank an Christian Vittinghoff für die Fotos, sowohl im Newsletter als auch im News-Teil der Website.