MÄKKELÄ

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Ein wenig Fluchen und ein wenig übers Reisen 2021.

Wieder ist es Januar geworden und wieder finde ich mich da wieder, wo ich auf keinen Fall hinwollte. Die Covid-Warteschleife. Aufstehen, Kaffee, Zigarette, Tagesplanung. Die Planung, bei der sich schon beim Aufschreiben die Frage des "wofür?" stellt. Spazierengehen? Warum? Klar, ich brauche Bewegung, vielleicht sogar frische Luft, damit ich den Kopf frei bekomme und nicht völlig durchdrehe. Nur, ich will da nicht raus. Nicht in diese sich nicht bewegende, verpennte, scheiß-langweilige Stadt, die heute so öde ist wie gestern und vorgestern.
Veranstalter anschreiben? Wofür? Die meisten wissen so wenig wie ich wann Konzerte wieder unter tragbaren Bedingungen möglich sind. Also kann ich ebenso gut auf die kurzfristigen Angebote ab Mai (optimistisch) oder Juni (realistischer) warten. Also vergessen wir's.
Üben? Einen Song schreiben? Wofür denn? Und für wen?
Erkenntnismoment: Ich mache das offenbar nicht allein für mich und mein Ego.
Erkenntnismoment zwei: Meine drei krampfhaft festgehaltenen Tagesordnungspunkte sind wieder genauso obsolet wie im vergangenen Jahr um dieselbe Zeit.
Wird heute dann wohl wieder darauf hinauslaufen zu warten, dass sich das Gefühl einstellt, es ist sowieso zu spät um noch was Sinnvolles anzupacken. Nächster Schritt dann: bis in die Nacht Serien in den Mediatheken schauen und versuchen morgen nochmal, dann aber wirklich, ernsthaft anzufangen. Also genauso wie heute schon mal.
Mittlerweile hilft auch nicht mehr das mantrahafte sich selbst Vorbeten, es ist ja alles gar nicht so schlimm, sei froh das Du gesund und am Leben bist und früher oder später wird das schon alles wieder werden.
Also gut. Nachdem gerade keine Wäsche mehr zu waschen ist, vielleicht doch noch abspülen und was kochen? Weiß zwar nicht für wen, aber immerhin ist Kochen ja auch so'n bisschen kreativ. Blöd wird's nur, wenn ich mich - vermutlich schon bald - entscheiden muss: Nahrungsmittel oder Tabak oder Kaffee. Dachte, die Zeiten hätte ich schon vor Jahren endgültig hinter mir gelassen. Immerhin weiß ich jetzt schon wer von den dreien die Nummer eins wird.

Reden wir doch einfach besser über was anderes. Vielleicht über die Momente im letzten Herbst und Winter, in denen das Leben wieder Sinn zu machen versprach. Auf irgendeiner Autobahn, irgendwohin unterwegs, wo irgendwelche Leute sich auf das Konzert freuen, das ich für sie spielen werde. Reden wir vielleicht nicht gerade über Görlitz, auf halber Strecke nach Warschau, wo die Chancen gut stehen aufs Maul zu bekommen, weil man nächtens auf irgend 'nen Grünstreifen pisst.

Besser über das La Boheme, das ADA Pulawska, das Piesniarze. Über die, die gekommen sind zuzuhören. Nicht mal wenige. Die einen respektieren für das, was man zu sagen hat, für das, was man bereit ist zu geben. Das fühlt sich endlich wieder richtig an. Richtig, weil es das ist, wofür ich eine halbe Ewigkeit gekämpft, geackert und Scheiße gefressen hab. Erheblich richtiger vor allem, als in einer gerade so noch erschwinglichen Mietwohnung, in einer Stadt zu vegetieren, deren herausragende Qualität Durchschnittlichkeit ist und darauf zu warten, dass einem entweder das Geld oder die Luft ausgeht. Oder darauf das irgendwelche staatlichen Hilfen eintrudeln. Zumindest dafür fühle ich mich nicht zu Dankbarkeit verpflichtet, sollten sie es jemals tun. Nicht für diese Mickrigkeit an Schmerzensgeld, diese fast niedliche Kompensation für die Eimer dampfender Scheiße, die man geduldig, über die Jahre hat über sich ausleeren lassen, die man geduldig ignoriert hat, damit sie einen dafür in Ruhe sein Ding durchziehen lassen.

Sie haben mir bis in den frühen Morgen versucht Songs schmackhaft zu machen. Tschechische Songs, die alle irgendwie mit der Geschichte des Theater-Kollektivs, hier draußen bei Melnik zu tun haben.
Das wäre wirklich der Knaller, wenn Du irgendwann einen davon spielen würdest.
"Schlaftrunk?", fragt Martin. "Schlaftrunk!", antworte ich zum ich weiß nicht wievielten mal heute Abend. Und dann hören wir noch den Song von dem Mann, der in Olomouc im Bett einer Frau aufwacht, die nun wirklich nicht seine ist. Zumindest ist es das, was ich von Mirkas und seiner Beschreibung verstehe. Sie klingt wunderschön, diese Sprache. Wäre ich nicht so fürchterlich undiszipliniert, bestünde vielleicht sogar eine Möglichkeit einen dieser Songs noch in diesem Leben zu singen. Für den Moment muss ich mich damit begnügen zu genießen hier zu sein, mich zu wundern, dass sie mir das Zutrauen hier, dass sie sich das wünschen.

Keine Reaktion, keine Antwort, kein gar nichts aus Brno. Wird wohl nichts mit dem Auftritt im Bajkazyl. Schön, dann macht doch was ihr wollt. Ich nehme mir ein billiges Zimmer in der Stadt und mache einen Spaziergang zum "Rauchenden Hasen" in dem ich letztes Jahr gespielt hatte. In gut vier Wochen soll ich hier mit Pavel auftreten, also kann ich ebenso gut auf ein Bier gehen und eine handvoll Plakate vorbeibringen. In einem der schönsten Clubs von Brno treffe ich die Chefin Pavla, Pavla druckst rum, Pavla sagt Sorry. Wir können das Konzert im Oktober nicht machen. Das ist tschechischer Nationalfeiertag, da ist keiner in der Stadt. Ich liebe Tage an denen zwei Konzerte platzen. Warum genau alle Tschechen Brno zum Feiertag verlassen erschließt sich mir zwar nicht, schlucken muss ich es trotzdem. Brno meint es in diesem Jahr nicht sehr gut mit mir.

Und dann ist da Miro. Miro ist speziell. Sehr speziell. Ich glaube Miro ist nicht nur ein Fan, ich glaube Miro hat mich irgendwie adoptiert. Es muss irgend so etwas sein. Letztes Jahr, als es auch schon unterwegs ständig Absagen gehagelt hat, hat mich Miro in Banska Bystrica angesprochen. Er ist schon beim Konzert, im Publikum eine auffällige Erscheinung gewesen. Älter als die meisten, ganz in Schwarz, schwarze Umhängetasche, alles mit Patches von Death- und Black Metal Bands dekoriert. Ja, er ist extra wegen dem Konzert hergekommen, kennt die Songs. Vor allem "Lily Of The West" hat es ihm angetan. Und "Light Enough To Travel". Ich kann es nicht wirklich glauben. Es gibt tatsächlich jemanden der hier meine Songs kennt. Was ich denn für Pläne hätte, wo ich morgen spiele. Nirgends, sag ich. Ist abgesagt. Hättest Du Lust für mich und meine Familie und paar Freunde zu spielen? Das ist so vierzig Minuten von hier. Kann Dir nicht viel geben, etwas Spritgeld, wir können sammeln, was zu essen, was zu trinken und übernachten kannst Du natürlich.
Was solls, warum nicht? Ich habe zumindest einen Schlafplatz und werde gefüttert, allemal besser als irgendein abgewanztes B&B oder schlimmeres buchen. Außerdem scheint Miro ungefährlich und ein interessanter Typ zu sein.
Ich sammle ihn am nächsten Tag gegen Mittag vor dem Bosorka ein und wir fahren Richtung Zvolen. Unterwegs erzählt Miro. Im Kommunismus hat er schon die Schnauze voll von Autoritäten gehabt, von einem System, das ihm vorschreibt wie er zu leben hat. Also klinkt er sich aus. Komplett.
Er und seine Frau Veronika kaufen sich ein uraltes Bauernhaus am Arsch der Welt, in irgendeinem Tal in der Slowakei. Kein Strom, kein fließendes Wasser, keine Bevormundung. Den nötigsten Strom liefern zwei Solar-Panels, fürs Internet peilt eine kleine Satellitenschüssel einen Sendemast auf einem der umliegenden Berge an, mehr ist nicht. Außer Ziegen.

Wir buckeln zusammen mit Miros Sohn Janko meine Instrumente und die Reisetasche vom Parkplatz im Tal, den Berg hoch, über Ziegenweiden, durch einen traumhaften Obstgarten. Von der Veranda des uralten, niedrigen Hauses bietet sich ein atemberaubender Blick über herbstlich gefärbte Täler, Berge und schwer tragende Obstbäume. Stille. Sehr viel näher kann man dem Glück und einer Ahnung von Freiheit nicht sein, denke ich. Im Hauptraum des Hauses ein gemauerter Ofen, ein großes Bett, ein Tisch, vier Stühle. Im einzigen Nebenraum hat man mir ein Bett fertig gemacht.
Nach dem Essen sitzen wir vier um den Tisch, es wird keiner mehr kommen. Sie haben Angst, sagt Miro, vor dem Virus. Aber das macht nichts, wir sind ja da. Es war zwar nicht der Plan, aber ich spiele jeden Song, den ich spielen kann und erzähle den dreien die Geschichten dazu. Janko übersetzt seinen Eltern alles. Zwischen rein erfahre ich, dass Janko und Veronika zusammen als Folk-Duo spielen. Traditionelle Musik, die Veronika in vergessenen Gegenden der Slowakei gesammelt hat, mit einem Schuss Pink Floydigem Progrock den Janko beisteuert. Ich sage, ich hab nicht mehr, das war's, ihr seid dran. Jetzt spielt ihr für mich. Es ist pure Magie. Janko erklärt, um was es in den Songs geht, Harmoniegesang, Irish Bouzouki, Geige, irgendeine Art traditionelle Flöte. Ich sitze nur da, verstehe nicht wie ich hier hergekommen bin, was gerade passiert, das es auch alles keine Rolle spielt, weil es einfach das richtigste und schönste ist, was mir gerade passieren kann. Am nächsten Morgen bereitet mir Miro ein Bad. Er kocht Wasser in einem Bottich und giesst es in eine Badewanne die einfach so, da auf dem Berg, mit Blick übers Tal, steht.

Zwischenblende. Hamburg, Juli 2021. Geplant ist ein "Guerilla Gig" in einem Park in Altona. Das war 2020 schonmal sehr schön, als ich dort das erste Mal in meinem Leben auf einer Grabsteinplatte gespielt habe. Mehr Noir in Folk Noir ist kaum möglich.
Nur mag das Wetter in diesem Jahr nicht. Es pisst wie aus Eimern, keine Chance einen Open Air-Auftritt zu spielen, ob angemeldet oder nicht. Die nächste trockene Location, die sich anbietet, ist eine Art Arkadengang an einem Schulgebäude, nicht weit vom Park. Per SMS & WhatsApp dirigiert Veranstalter Snel das angemeldete Publikum dort hin. Kurz bevor ich bei strömendem Regen anfange, kann ich meinen Augen nicht trauen. Vor mir steht Miro. Miro vom Arsch der Welt in der Slowakei. What? Ich habe gesehen das Du heute in Hamburg spielst, sagt er. Hab den Bus genommen, um das Konzert zu sehen. Ich kann es nicht fassen. Der Mann hat eine verdammte Weltreise auf sich genommen, um mich am verregnetsten Tag des Jahres in Hamburg unter einem Vordach spielen zu sehen.

In diesem Jahr im slowakischen Tal am Arsch der Welt ist alles ein wenig anders. Miro hat angekündigt es würde ein echtes Konzert geben. Nicht bei ihm zu Hause, bei der Großmutter diesmal, unten im Dorf. Zusammen mit HMLISTO dem Folk-Duo von Veronika und Sohn Janko. Sie haben eine Bühne gebaut, es wird Publikum geben, er ist sichtlich stolz auf das was sie da auf die Beine gestellt haben, vielleicht sogar etwas aufgeregt. Und es ist, ja, wie? Wie aus einem Märchenbuch des Rock'n'Roll. Veronikas Mutter und ihre Schwester haben für uns gekocht. Zwischen Scheune und Haus haben sie eine Bühne improvisiert, auf ein Brett wurde liebevoll HMLISTO, Mäkkelä und ein Peace-Zeichen gemalt, das stabilste Backdrop, das ich jemals hatte. Das Publikum trudelt ein, 30-40 Menschen. Freunde, Bekannte, Nachbarn, Punks, Normalos, Rentner. Die beiden Grannies laufen herum und bieten den Gästen selbstgemachten Ziegenkäse und Tomatenschnitze an. Jeder hat was zu trinken mitgebracht, es wird geteilt, es wird selbst gebrannter Schnaps herumgereicht. Es ist zum Weinen schön. Wegen solcher Momente kann ich nicht aufhören, wegen genau solchen Momenten muss ich weitermachen. Wegen solcher Momente kann ich ohne weiteres auf ein Leben zwischen 9-to-5 Job, Eigenheim und Urlaubsanspruch verzichten. Auch, wenn es mir vielleicht irgendwann leidtun wird. Das hier ist es wert.